
DER HIMMEL GLÜHT FÜR DAS GLÜCK
Jedes Jahr, am ersten Fastensonntag, glüht der Himmel über Landeck. Dann fliegen feurige Scheiben und laute Glücksrufe durch die kühle Nachtluft, und im Tal kitzelt der Duft der Kaskiachl in der Nase. All das sind Zeichen dafür, dass es wieder so weit ist: das traditionelle Scheibenschlagen ist in vollem Gange.
"Dia Scheiba, dia Scheiba, die will iatz treiba! Schmolz in d'r Pfonna, Kiachla in d'r Wonna, Pfluag in d'r Erd, dass dia Scheiba weit außi geaht!"
DIE VORBEREITUNGEN
Das Scheibenschlagen ist ein Brauch, der mit dem Einzug des Frühlings auch Glück für die Bewohner: innen der Region Landeck heraufbeschwören soll. Bevor das Scheibenschlagen traditionsgemäß am ersten Fastensonntag, dem „Kassunnti“, stattfindet, bereiten die Mitglieder der Feuerwehr das Event vor. Schon Wochen davor schlagen die Feuerwehrmänner und -frauen Birkenholz. Früher musste jeder Feuerwehrmann mindestens einen passenden Birkenstamm aus dem Wald „organisieren“. Wie sieht so ein perfekter Stamm aus? Birkenbäumchen mit einem Durchmesser von etwa 20 Zentimetern eignen sich am besten. Sie werden zersägt, gekloben und zurecht gehackt, bis am Ende etwa drei Zentimeter starke Scheiben entstehen. Dann dürfen die Feuerwehrleute nicht vergessen, ein Loch in die Mitte zu bohren. Nur so kann die Scheibe später mit einem Haselnussstecken aufgespießt und ins Tal abgeschlagen werden.
LOS GEHT'S
Sind alle Scheiben bereit? Am Abend des Kassunnti entzünden die Feuerwehrleute Lagerfeuer an den Berghängen und legen die Birkenscheiben in die Flammen, bis sie ordentlich glühen. Einige Scheiben sind am Rand mit Zacken verziert, um der Sonne zu ähneln, die als Kraftquelle für fruchtbare Felder galt und beim Scheibenschlagen „gut gestimmt“ wird. Die „Schläger“ holen die glühenden Scheiben mit Haselstöcken aus dem Feuer, stellen sich an der Abschussrampe auf und schwingen die Feuerscheiben über sich in der Luft. Während die Scheiben funkensprühend fliegen, rufen die Schläger laut den Scheibenspruch ins Tal. Funkenfeuer galten einst als unheilabweisend und reinigend – fliegt der Reif weit und strahlt, wird das als gutes Zeichen gedeutet und die Zuschauermenge jubelt
VIEL GLÜCK UND VIEL KÄSE
Der „Schreier“ benötigt viel Stimmkraft und Ausdauer. An diesem Fastensonntag wird seine Stimme nicht geschont, da er jede abgeschlagene Scheibe im Auge behalten und einen Spruch ins Tal rufen muss. Der Spruch lautet übersetzt: „Scheibe, Scheibe, dich will ich nun treiben, Schmalz in der Pfanne, Küchlein in der Wanne, Pflug in der Erde, dass die Scheibe weit raus geschossen werde.“ Zu jedem brennenden Reif wird der Name einer Person gerufen, der die Scheibe besonderes Glück bringen soll, oft der Schwarm des Schlägers, der sich Glück in der Liebe erhofft. Die traditionelle Teigware, die die Schlägermit Familie und Freunden genießen, ähnelt in ihrer Form den abgeschlagenen Birkenscheiben und wird Kaskiachl genannt. Ihr Hauptbestandteil ist Käse, meist Almkäse, dessen Gewürzmischung ein gut gehütetes Geheimnis ist.
UNESCO KULTURERBE
DAS TRADITIONELLE SCHEIBENSCHLAGEN IM TALKESSEL LANDECKWURDE IM MAI DIESES JAHRES IN DAS IMMATERIELLE KULTURERBEUNESCO AUFGENOMMEN UND ERGÄNZT NUN DAS BEREITSEINGETRAGENE SCHEIBENSCHLAGEN IN VORARLBERG.
Rund um das Scheibenschlagen ranken sich viele Geschichten. Die älteste Aufzeichnung über den Brauch fällt zusammen mit der Flucht des Landecker Richters im Jahre 1845. Der älteste erhaltene Zeitungsbericht stammt von 1887. Da steht: „Heuer hielten sie dieses kleine handliche Feuerwerk auf der Stanzerhöhe ab, dazu leuchtete der sternbesäte Himmel, was ein originell prächtiges Nachtbild gab.“ Nur fünf Jahre später berichtete eine Wiener Zeitung im Feuilleton über die Tradition in der Alpengegend. Doch dann verschwimmt die Faktenlage und man munkelt von schauderhaften Vorkommnissen beim Scheibenschlagen. Legenden beschreiben, dass sich plötzlich gruselige Gestalten an den Bergfeuern eingefunden hätten, oder dass einst ein riesiges Fass geradewegs auf die Scheibenschläger zugerollt kam. Und so manch ein übereifriger Feuerwehrmann habe bereits versucht, dem Teufel eine Scheibe zu schlagen, und sein Vorhaben nicht überlebt. Ob frei erfunden oder Sage mit wahrem Kern, eines ist klar: auch wenn das Scheibenschlagen in früheren Jahrhunderten immer wieder von höchsten Stellen verboten wurde, hat sich der Brauch in der Region Landeck gehalten. Jeden ersten Fastensonntag lodern die Feuer in den Nachthimmel und die Glücksrufe gellen unter den funkensprühenden Scheiben.